„Die vier haben gespielt
wie die Götter. Es ist doch etwas Schönes,
so gespielt zu werden. – Der zweite Satz dieses
Quartetts ist mir seit seinem ersten Entwurfe dermaßen
lieb, dass ich mich eigentlich immer fürchte,
ihn einer 'Auffassung' preisgeben zu müssen.
Aber Joachims haben ihn so gespielt, wie ich ihn
empfinde, so ganz und gar harmlos, keusch, ohne
Sentiment, so wie ein altes Marienlied: fromm und
innig.“
August Klughardt über die Uraufführung
seines zweiten Streichquartetts durch das Joachim-Quartett
AUGUST KLUGHARDT, DER FORTSCHRITTLICHE TRADITIONALIST
Andreas Gerhardus und Tobias Koch
Berlin, am 5. November 1883. In der Singakademie
gibt das Joachim-Quartett eines seiner weithin
gerühmten Konzerte. Über sechsunddreißig
Jahre lang sind diese legendären Quartettabende
nicht nur ein Treffpunkt für die gesellschaftliche
Elite des Zweiten Deutschen Kaiserreichs. Hier
wird Kammermusik auf höchstem Niveau präsentiert.
Zugleich manifestiert sich in der Programmgestaltung
das klassische Musikverständnis von Joseph
Joachim, seines Zeichens überragender Geiger,
universeller Musiker, Gründungsrektor der
Berliner Königlich Akademischen Hochschule
für ausübende Tonkunst, und überhaupt
eine der einflussreichsten Musikerpersönlichkeiten
seiner Zeit.
An jenem Abend im Herbst 1883 wird, umrahmt von
Mozarts Quartett Es-Dur KV 428 und Beethovens
cis-Moll-Quartett op. 131, das erste Streichquartett
F-Dur op. 42 von August Klughardt uraufgeführt.
Glaubt man den zeitgenössischen Berichten,
ist die Premiere des hier eingespielten Werkes
ein durchschlagender Erfolg. Das Deutsche Tageblatt
notiert: „Dieser Dessauer Hofkapellmeister
hat mit seinen Kompositionen merkwürdiges
Glück in Berlin. Die königliche Hofoper
führt seine Oper Gudrun auf, die königliche
Hofkapelle spielt in ihren Symphonie-Soireen eine
neue Symphonie und eine Suite von ihm, und jetzt
kommt die weltberühmte Quartettgenossenschaft
und hebt ihm ein Streichquartett aus der Taufe.
Wir können uns nicht erinnern, daß
dies alles einem anderen Sterblichen, so da mit
Noten umgehet, in gleicher Weise passiert wäre.
Daß Hofkapellmeister Radecke oder Professor
Joachim so leicht für eine Novität zu
gewinnen wären, wird gewiss niemand behaupten;
das Gegenteil dürfte eher der Fall sein.
Die vorausgegangenen sorgfältigen Proben
müssen also gezeigt haben, dass man mit den
Kompositionen eines vor jener Gudrunaufführung
in Berlin unbekannten Mannes doch Ehre einlegen
kann, und diese Hoffnung haben die Symphonie und
die Suite im Konzertsaal des Opernhauses sowohl
wie jetzt auch das Quartett in der Singakademie
wirklich erfüllt. Von den vier Quartettgenossen
ganz wundervoll gespielt, hatte die Novität
einen so rauschenden Erfolg, wie er selbst an
Joachims Quartettabenden bei neuen Erscheinungen
nur in seltenen Fällen beobachtet worden
ist“. Auch das Anhaltische Tageblatt berichtet
kurz darauf geradezu euphorisch über die
Uraufführung: „Der Name des jungen
Hofkapellmeisters wird demnächst auf keinem
vornehmen Konzertprogramm mehr fehlen. Der Erfolg,
welchen das hier gespielte F-Dur-Quartett errang,
ist ein so nachhaltiger, dass es noch jetzt unsere
musikalische Welt lebhaft beschäftigt.“
Auch anderenorts beeindruckt Klughardts Opus 42,
wie sein Biograph Leopold Gerlach berichtet: „Ein
nicht minder sensationeller Erfolg wurde dem köstlichen
Werke auf der Tonkünstlerversammlung in Weimar
zuteil (im Grenzboten hieß es, das Schönste
auf dem ganzen Feste sei das Brahmssche Sextett
und das Quartett des 'kleinen Klughardt' gewesen).
Und aus Köln schrieb Holländer an den
Komponisten: 'Es gereicht mir zu besonderer Freude,
Ihnen mitteilen zu können, daß Ihr
schönes Streichquartett in Köln, Bonn
und Düsseldorf einen vollen Erfolg davongetragen
hat. In der hiesigen Soiree war es besonders Rubinstein,
welcher dem Werke seine Sympathie entgegenbrachte‘.“
Gerlach fährt fort mit einer ausführlichen
Beschreibung des Werkes, die wegen ihrer beredt-begeistert
vorgetragenen Einsicht in das gut halbstündige
Werk wiedergegeben sei: „Als Vorzug dieses
Quartetts wird vor allem die Frische der Erfindung
und die große Natürlichkeit hervorgehoben,
die sich mit vortrefflicher contrapunktischer
und thematischer Arbeit paart, was namentlich
in dem interessanten ersten Satze hervortritt.
(Ein Berichterstatter aus Kassel geht sogar so
weit zu erklären: 'Schon anlässlich
der im vergangenen Winter aufgeführten D-Dur-Symphonie
stellten wir Klughardt als Gegensatz zu Brahms
hin, weil seinen Kompositionen mehr natürliche
Schönheit innewohnt, das gelehrte Beiwerk
hingegen sich nicht als gesucht, vielmehr als
von sich selbst ergebend hinstellt.‘)
Gleiches Lob verdient das gesangreiche Largo,
das heitere Scherzo und das übermütig
kecke Finale. Sehr passend vergleicht der Leipziger
Generalanzeiger das Quartett mit einem blühenden
Garten in hellem Farbenglanze.
Charakteristisch für diese wie auch für
andere Kompositionen Klughardts ist die dramatische
Färbung, welche dem Ganzen noch einen besonderen
Reiz verleiht. Daß die Natur und Eigenart
der vier Instrumente gebührend berücksichtigt
und oft zu überraschenden Klangkombinationen
benutzt worden ist, bedarf bei Klughardt kaum
einer besonderen Erwähnung. In Summa: 'Dieses
Quartett zeigt‘, wie das Deutsche Montagsblatt
sagt, 'alle Vorzüge eines guten Kammermusikwerkes
in so hohem Grade, daß es die Nähe
der Klassiker sehr wohl auszuhalten vermag, selbst
die des Beethovenschen cis-Moll-Quartetts‘.“
Schon der Beginn des Quartetts, mit seiner zart
im unisono beginnenden und über mehr als
vierzig Takte weit ausschwingenden Melodie, in
deren Verlauf gleich ein weiteres Thema und Themenfragmente
kontrapunktisch eingearbeitet sind, lässt
den kompositorischen Anspruch Klughardts erkennen.
Eine hohe dramatische Dichte des gesamten Satzes
erreicht der Komponist über die abwechslungsreiche
metrische und harmonische Gestaltung. So wird
die von der Grundtonart am weitesten entfernte
Tonart H-Dur exakt in der Mitte des Satzes gleichzeitig
mit einem der Tiefpunkte im dynamischen Verlauf
erreicht. Der zweite Satz vereint liedhafte Melodik
mit Variationsformen, die in ihrer Ausdrucksvielfalt
von Mendelssohn’scher Leichtigkeit bis hin
zu wuchtigen Akkorden reichen, während das
knapp gehaltene Scherzo tonale Gegensätze
ausspielt. Das Finale rundet beschwingt und ausgelassen
den dramaturgischen Gesamtplan des Werkes ab.
Klughardt selbst scheint von der Aufführung
seines ersten Quartetts durch das Joachim-Quartett
dergestalt beglückt gewesen zu sein, dass
er Joseph Joachim sein nächstfolgendes Werk,
das Klavierquintett in g-Moll op. 43 widmet. So
stellt diese Einspielung zweier Kammermusikwerke
des späten 19. Jahrhunderts zugleich eine
Hommage an Joseph Joachim dar.
Ungefähr ein Jahr nach dem Streichquartett
op. 42 wird das Klavierquintett am 25. November
1884 in Köthen uraufgeführt. Kurz darauf
kommt es in Leipzig und Dresden zu weiteren Aufführungen.
Auch hier ist die Aufnahme rundweg positiv, wie
eine Besprechung im Dresdener Anzeiger belegt:
„Ein großer Vorzug dieses Werkes ist
es, daß hier auch nicht die Spur von jener
unerquicklichen sogenannten Vertiefung, die oft
genug nur allzu flach bleibt, von Reflexion, Raffinement
und wie die Mittelchen falscher Originalität
sonst noch heißen mögen, zu finden
ist. Der Komponist gibt frei und ungezwungen sein
Bestes, und dieses Beste ist auch etwas wirklich
Gutes, an dem man sich wahrhaft erfreuen kann.
Ein gesundes melodisches Element steht bei diesem
Quintett in erster Reihe. Die schöne, ebenmäßige
Form, die kunstvolle, doch stets klare Harmonik
beweisen die geübte Hand des gründlichen,
die Kunstmittel sicher beherrschenden Musikers.“
Die gleiche Sprache spricht auch eine Rezension
anlässlich einer Aufführung im französischen
Nizza: „Das Quintett von Klughardt, eine
großartige Novität im Bereich der zeitgenössischen
Kammermusik, formte das Herzstück des Konzerts.
Nachdem wir es gehört haben, verstehen wir
den immensen Erfolg, den diese meisterhafte Komposition
sowohl im Konzertsaal wie auch im Salon hat.“
In der Tat zeigt sich Klughardt hier als souveräner
Meister im Umgang mit der Gattung Klavierquintett.
Unüberhörbar und mühelos vereint
er großflächig ins Sinfonische hineinreichende
Tendenzen mit konzentriert kleinteiliger motivischer
Arbeit. Beginnend mit einem geheimnisvoll raunenden
Streicherunisono, das aus dem Nichts zu kommen
scheint, entwickelt sich der in viele Richtungen
auseinanderstrebende Kopfsatz.
Er lebt ebenso vom effektvoll gestaffelten Diskurs
zwischen solistisch vorwärtsdrängendem
Klavierpart und blockartig replizierenden Streicherpassagen
wie von kompliziert-komprimierten Durchführungsteilen.
Gleich drei Themen werden vorgestellt. Bei aller
con fuoco-Attitüde fällt die Beherrschtheit
auf, mit der Klughardt den ausladenden Satz gestaltet.
Dies gilt auch für die anderen Sätze.
Immer wieder blitzen neue Eingebungen auf. Kaleidoskopartig
werden dabei Einflüsse sowohl der Neudeutschen
Schule um Wagner und Liszt wie auch des traditionell
orientierten Schumann-Brahms-Kreises deutlich:
Es scheint, als wolle der Komponist die Antipoden
miteinander versöhnen.
Bei all dieser Bewunderung und dem zweifellos
bezeugten großen Respekt der Zeitgenossen
vor den hier eingespielten Werken taucht die Frage
auf, warum deren Komponist heute im Konzertleben
keine Rolle mehr spielt. Ein Blick auf seine Biographie
scheint unumgänglich: Wer war dieser August
Klughardt?
Geboren am 30. November 1847 in Köthen, wird
sein musikalisches Talent schon früh entdeckt
und gefördert. 16jährig spielt Klughardt
mit der Dessauer Hofkapelle Mendelssohns g-Moll-Klavierkonzert
und dirigiert Schulaufführungen, in welchen
er bereits eigene Kompositionen vorstellt. 1866
geht er nach Dresden, um sich dort weiter ausbilden
zu lassen. Zu der Vertonung von Dornröschen
für Soli, Chor und Orchester aus dem Dresdener
Jahr heißt es: „Das Verzichten auf
alles musikalische Raffinement, auf jede Art von
Effekthascherei, ferner die Verbindung charaktervoller
Instrumentierung mit schönem Melodienreichtum
– das sind doch gewiss recht annehmbare
Vorzüge bei einem Jugendwerke.“
1867 wird Klughardt Kapellmeister am Stadttheater
in Posen. Der Direktor des Posener Theaters stellt
Klughardt dem Personal mit den Worten vor: „Mein
Kapellmeister hat zwar noch keinen Bart, aber
er hat Haare auf den Zähnen.“ Klughardt
beweist in Posen sein Talent sowohl als Pianist
wie als Komponist, besonders aber als Dirigent.
In sechs Wintermonaten dirigiert er 75 Opernvorstellungen.
In der Posenschen Zeitung heißt es über
Klughardts Wirken: „Es macht einen wohlthuenden
Eindruck, einem verständnisvollen Musiker
zu begegnen, der bei vollendeter Beherrschung
der Technik diese dem Geiste unterzuordnen versteht.“
Der Biograph Gerlach schreibt weiter: „An
anderer Stelle wird der poetische Hauch gerühmt,
der ohne alle gekünstelte Affektion das Ganze
durchwebte. Wer Klughardts Spiel, das kernige
Klarheit und Keuschheit, Temperament und Delikatesse
vereinigte, kennengelernt hat, wird dieses Urteil
gern bestätigen.“
Nach einer Saison als Musikdirektor am Neustrelitzer
Theater 1868/69 und als Opernkapellmeister in
Lübeck wird Klughardt als Musikdirektor an
das Hoftheater nach Weimar berufen. In den vier
Jahren dort tritt er in nahe Beziehungen zu Franz
Liszt, über den Klughardt für Wagner
gewonnen wird.
Über die Erstaufführung der 1871 in
Weimar entstandenen Oper Mirjam notiert ein Zeitungsbericht:
„Wer in den letzten Tagen der verflossenen
Woche Weimar besucht hat, der weiß, daß
der Name Klughardt und Mirjam in aller Munde waren.“
Gelobt werden hervorragendes Instrumentationsgeschick,
Noblesse der Empfindung, Schärfe der Charakteristik
und dramatische Zugkraft. Als weitere wichtige
Werke aus der Weimarer Zeit gelten die Wagner
gewidmete Lenore-Sinfonie, die Konzert-Ouvertüre
Im Frühling, ein Konzertstück für
Oboe und Orchester sowie die Schilflieder für
Oboe, Bratsche und Klavier. Im Herbst 1873 wird
Klughardt Hofkapellmeister in Neustrelitz. Der
Orchestererzieher Klughardt steigert binnen kurzer
Zeit das Niveau der großherzoglichen Kapelle
dergestalt, dass sie „allen Ansprüchen
genügte und durch Präcision, Sauberkeit
und Schwung manches viel stärker besetzte
Orchester übertraf“, was dazu führt,
dass Wagner für die ersten Bayreuther Festspiele
1876 acht Musiker der Neustrelitzer Kapelle engagiert.
Auch Klughardt selbst ist im Sommer 1876 in Bayreuth.
Unter dem Eindruck von Wagners Musik entsteht
noch im selben Jahr die zweite Sinfonie f-Moll
op. 34. Über eine spätere, von Klughardt
selbst dirigierte Aufführung dieses Werkes
in Frankfurt am Main berichtet der Komponist einem
Freund: „Ich habe mit dem wundervollen Orchester
zwei Proben gemacht, wobei mir endlich einmal
Gelegenheit ward, mit einem eigenen Werke in einem
starkbesetzten Quartett schwelgen zu können:
20 erste, 18 zweite Geigen, 16 Bratschen, 16 Violoncelle
und 12 Contrabässe. Du kannst Dir denken,
wie da meine Contrapunkte klangen. Ich war in
heiterster Stimmung, was dem ernsten Werke sehr
zu statten kam, und muss dem Orchester gefallen
haben, denn als ich abends im Konzert ans Pult
trat, empfingen mich die Musiker mit lang anhaltendem
Beifall. Das Publikum applaudierte jeden Satz,
den ersten rauschend, den zweiten musikfestmäßig
stark und den dritten wie den ersten.“ Neben
dieser Sinfonie entstehen in Neustrelitz die Opern
Iwein und Gudrun, sowie seine dritte Sinfonie
op. 37.
1882 nimmt Klughardt die Stelle des Hofkapellmeisters
in Dessau an. Diesem Posten bleibt er bis zu seinem
Tod im August 1902 treu, obwohl er das ehrenvolle
Angebot erhält, sich für die Leitung
der Singakademie zu Berlin zu bewerben. Er lehnt
jedoch ab. Zu den wichtigsten Kompositionen aus
dieser letzten Lebensphase zählen das Cellokonzert
op. 59, das Violinkonzert op. 68, zwei weitere
Sinfonien und die beiden großangelegten
Oratorien Die Zerstörung Jerusalems und Judith.
In dieser Zeit komponiert Klughardt auch die Mehrzahl
seiner Kammermusikwerke. Zwei Streichquartette,
ein Klaviertrio und jeweils ein Klavier-, Streich-
und Bläserquintett entstehen.
Klughardts Hauptwerk fällt
in einen musikgeschichtlich ebenso faszinierenden
wie fruchtbaren Zeitraum. Eine große Zahl
von Komponisten – einer von ihnen ist eben
jener offenbar ebenso undogmatische wie bescheidene
August Klughardt – schreibt Musik für
eine ständig wachsende Zahl von Konzertsälen
und Opernhäusern. Musikalisch bewegt man
sich dabei entweder auf bewusst artikulierter
fortschrittlicher oder auf traditionell orientierter
Linie. Weit über den deutschen Raum hinaus
kommt es in diesem Zusammenhang geradewegs zu
einer Lagerbildung, an musikästhetischen
Fragen entzünden sich öffentlich ausgetragene
Dispute. Der sogenannten Neudeutschen Schule,
zu der Komponisten wie Liszt, Wagner, Berlioz,
Raff und Cornelius gerechnet werden und welche
insbesondere über den Musikjournalisten Franz
Brendel eine progressive „Musik der Zukunft“
propagiert, stehen traditionell orientierte Musiker
wie Brahms, Joseph Joachim und der Musikästhetiker
Eduard Hanslick gegenüber.
Wie auch immer man diesen Streit im Nachhinein
bewertet: Klughardt scheint sich trotz eindeutiger
Einflüsse beider Parteien weder der einen
noch der anderen Richtung zuordnen lassen zu wollen.
Auffallend ist nicht nur in den hier vorgestellten
Werken die Lust am Experiment, an der Verbindung
von Klangfülle mit konzentrierter motivischer
Arbeit. Er entzieht sich dem Parteienstreit, indem
er eine Synthese beider Stile anbietet. Dies stellt
gewiss einen der Gründe dafür dar, dass
Klughardt – trotz großer zeitgenössischer
Wertschätzung – bereits kurz nach seinem
Ableben von einer stark fokussierenden Musikgeschichtsschreibung
an den Rand gedrängt wird.
Zugleich lehrt uns ein unverstellter Blick in
die Vergangenheit aber auch das Folgende: In einer
Zeit, in welcher es weder Radio noch Tonaufnahmen
gibt, hat die Ausführung von Musik eine immense
Bedeutung nicht zuletzt für das gesellschaftliche
Leben. Es sind nicht nur die großen Meister
wie Brahms, Wagner, Dvorak, Liszt oder Strauß,
an denen sich das Interesse des Publikums vordergründig
entzündet. Vielmehr gibt es einen großen
Bedarf an zeitgenössischer Musik, was die
Gattung Kammermusik ganz selbstverständlich
mit einschließt: In der 'gehobenen' Gesellschaft
gehört es zum guten Ton, selbst zu musizieren
oder einen Salon zu führen, in welchem auf
hohem Niveau Musikaufführungen stattfinden
und diskutiert werden.
Musiktalente werden früh erkannt und speziell
gefördert, wie es auch in Klughardts Biographie
deutlich wird. Wie immens nicht zuletzt der Absatzmarkt
für Noten in dieser Zeit ist, wird ersichtlich,
wenn man sieht, wie viele Verlagshäuser existieren.
Bei alledem ist es in der Rückschau von Bedeutung,
zu erkennen, dass vieles, was komponiert wird,
von hoher Qualität ist. Verschleiert wird
diese Tatsache dadurch, dass heute nur noch wenige
dieser Werke gespielt werden.
Erst in den letzten Jahren, in welchen das kanonisierte
Kammermusik-Repertoire in vielerlei Varianten
oft bis zum Überdruss reproduziert worden
ist, wird das stimulierende Umfeld der 'großen'
Namen verstärkt wahrgenommen.
Ist es nicht eine große Bereicherung, mit
der Wiederentdeckung von unerhörten musikalischen
Nebenwegen auch die großen Namen in neuem
Licht zu erleben? Wir laden Sie herzlich dazu
ein.
Literatur:
Leopold Gerlach, AUGUST KLUGHARDT, Leipzig 1902
Günther Eisenhardt, Marco Zabel, AUGUST KLUGHARDT,
Potsdam 2002
Beatrix Borchard, STIMME UND GEIGE: Amalie und
Joseph Joachim, Wien 2005
M. R., SOME POINTS OF VIOLIN PLAYING AND MUSICAL
PERFORMANCE as learnt in the Hochschule für
Musik (Joachim School) in Berlin during the time
I was Student there, 1902-1909, Edinburgh 1939
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